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„Wer erfolgreich bleiben will, muss für Kooperationen offen sein“

Die Institutsdirektoren Prof. Schuh und Prof. Klocke über die Zukunft des deutschen Werkzeugbaus
„Wer erfolgreich bleiben will, muss für Kooperationen offen sein“

„Wer erfolgreich bleiben will, muss für Kooperationen offen sein“
„In vielen Unternehmen bieten die Prozesse noch ganz erhebliches Optimierungspotenzial.“ Bild: Fraunhofer IPT
Wie deutsche Werkzeugbauer ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern können, erläutern Prof. Günther Schuh (links) und Prof. Fritz Klocke. Die Direktoren des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und des Fraunhofer IPT in Aachen fordern dazu auf, die Chancen der Globalisierung zu nutzen.

Herr Professor Schuh, hat der deutsche Werkzeug- und Formenbau mittel- bis langfristig eine Chance auf dem Weltmarkt?

Schuh: Absolut! Deutschland gilt nach wie vor weltweit als das Land der Produktionstechnik, und Kern der Produktion sind die Werkzeuge. Dennoch: Die deutschen Anbieter müssen umdenken. Auch für kleine Unternehmen ist strategisches Denken unerlässlich. Dazu gehört es, Netzwerke zu bilden. Die mit Abstand größte Chance deutscher Werkzeug- und Formenbauer liegt in der Kooperation. Und zwar sowohl mit heimischen Kollegen als auch auf internationaler Ebene. Betriebe, die in ihrer eigenen kleinen Welt verharren und weiterhin alles selbst machen, statt zuzukaufen, was andere besser können, werden nicht überleben.
Viele Brachenmitglieder fürchten den Know-how-Abfluss nach China. Begünstigen Hochschulen die Entwicklung, indem sie ausländische Studenten ausbilden?
Schuh: Nein. Die deutschen Hochschulen qualifizieren nur eine geringe Zahl chinesischer Jungingenieure in Prozesstechnologien und Produktionslehre. Das ist kein Know-how, das abfließt wie bei der Produktpiraterie, sondern das der besseren Verständigung dient. Das ist doch das Beste, was uns im globalen Wettbewerb passieren kann. Diese Leute kennen unsere Mentalität, unsere Denkweise, sie sprechen unsere Sprache und sind uns gegenüber positiv eingestellt. Sie können auch für kleinere Betriebe gute Geschäftspartner sein.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass deutsche Innovationen einfach kopiert und entsprechend billiger vermarktet werden?
Schuh: Prinzipiell schon, aber die Gefahr ist im Werkzeugbau geringer als allgemein befürchtet. Natürlich werden die chinesischen Anbieter dazulernen. Aber der Weg vom Kopieren zum Kapieren, warum ein Werkzeug funktioniert, ist weit. Es ist Unsinn, die Chinesen oder andere Anbieter einfacher Werkzeuge als ultimative Bedrohung zu sehen. Deutsche Special Tooler müssen sich auf ihre Stärken besinnen. Ihre Kernkompetenz ist nicht das präzise Späne machen – das können andere mittlerweile auch –, sondern funktions- und produktionsfähige Werkzeuge schnell und verlässlich verfügbar zu machen. Sie müssen besser verstehen, wie sich Innovations-, Design- und Qualitätsführerschaft zur Markenbildung nutzen lassen.
Was verstehen Sie unter Markenbildung in diesem Zusammenhang?
Schuh: Zur Marke gehört es, die oft weichen Merkmale einer Leistung erkennbar herauszustellen und zu kommunizieren. Das können beratende Engineeringleistungen sein, vollständige Teilekonstruktionen, der Probelauf der Werkzeuge auf eigenen Maschinen oder die Inbetriebnahme beim Kunden. Ein Beispiel, dass auch kleine Betriebe das leisten können, ist Wiro. Der 35-Mann-Familienbetrieb aus Olpe wurde gerade zum Werkzeugbau des Jahres gewählt.
Wird das Risiko des Kopiertwerdens also überschätzt?
Schuh: Bei Produkten nicht, bei Werkzeugen häufig ja. Das Risiko liegt hier eher bei konkurrenzlos günstigen, einfachen Werkzeugen. Wer seine Innovationen wirklich schützen will, sollte sie zumindest in den Zielländern seiner Produkte beispielsweise zum Patent anmelden.
Insbesondere kleine Betriebe werden hier vor dem Aufwand und den Kosten zurückschrecken und sich fragen, ob´s wirklich etwas bringt.
Schuh: Der Aufwand zur Patenterstellung reduziert sich, wenn man etwas Übung hat. Deutsche Werkzeug- und Formenbauer haben gegenüber vielen ausländischen Kollegen durch ihre bessere Bildung gerade hier einen deutlichen Vorteil. Vielleicht benötigen sie beim ersten und zweiten Mal etwas Hilfe bei einer Patentanmeldung. Danach wissen sie, worauf es ankommt, und der Aufwand ist gar nicht mehr so groß. Alternativ gibt´s auch einfachere Lösungen, sein Wissen zu schützen – etwa den Gebrauchsmusterschutz. Und wer die Kosten scheut, der sollte sich bewusst machen, dass Patente und Know-how auch Handelswaren sind, die sich gewinnbringend verkaufen lassen.
Halten Sie den Handel mit Know-how für realistisch?
Schuh: Ja. Dazu braucht es allerdings etwas Selbstbewusstsein und die genaue Kenntnis des Nutzens für den Kunden. Sonst hat man keine Chance, dafür bezahlt zu werden.
Herr Professor Klocke, was können Special Tooler fertigungstechnisch tun, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern?
Klocke: Wir stellen immer wieder fest: Ganzheitliches Optimieren der Prozesse eröffnet vielfach noch enorme Potenziale. Die Betriebe müssen ihre Ressourcen besser nutzen und Mensch, Maschine sowie Prozesse perfekt aufeinander abstimmen. Die Maschinenlaufzeiten müssen gesteigert, die Mannstunden reduziert werden. Stichworte sind hier die Mehrmaschinenbedienung und mannlose Schichten.
Welche Rolle spielen dabei moderne Fertigungsverfahren?
Klocke: Modern hört sich immer gut an, in der Technik hat der Begriff aber wenig Bedeutung. Solange das Umfeld nicht stimmt, machen neue Maschinen und Verfahren wenig Sinn. Viele Betriebe können ihre Situation ohne großen Investitionsaufwand deutlich verbessern, indem sie ihre eingeführten und sicheren Prozesse konsequent und zielgerichtet optimieren. Erst dann lohnen größere Investitionen in Hochleistungsprozesse.
Welche Verfahren bieten nach der Prozessoptimierung das größte Potenzial?
Klocke: Durch die Verknüpfung des Fünf-Achs-Fräsens mit der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung lassen sich deutliche Verbesserungen hinsichtlich Bearbeitungszeit und Qualität erzielen. Ein wesentlicher Vorteil der simultanen fünfachsigen Bahnführung liegt in der Möglichkeit, die Eingriffsbedingungen an der Werkzeugschneide während der Bearbeitung nahezu konstant zu halten. Dadurch lassen sich auch im Werkzeugbau hochharte Schneidstoffe wie CBN wirtschaftlich nutzen. Konstante Eingriffsbedingungen vorausgesetzt, erreichen solche Prozesse ein Vielfaches der Standzeit von beschichtetem Hartmetall.
Ist das nicht bereits Stand der Technik?
Klocke: Grundsätzlich ja, aber in vielen Betrieben noch nicht umgesetzt. In der Praxis werden die vierte und fünfte Achse oft nur dazu genutzt, die Zugänglichkeit bestimmter Bereiche durch Anstellen der Achsen zu verbessern. Anschließend wird klassisch in drei Achsen weiterbearbeitet. Die Komplexität simultaner Fünf-Achsen-Prozesse ist vielen Anwendern zu hoch. Deshalb wird eine der Herausforderungen der kommenden Jahre darin bestehen, die der Fertigung vorgelagerten Schritte – etwa die NC-Programmierung oder die Prozesssimulation – so zu vereinfachen, dass das Verfahren auch in der Einzelteilfertigung effizient einzusetzen ist.
Vor allem kleine Anbieter leiden vielfach unter den Knebelverträgen insbesondere ihrer großen Kunden. Was können sie tun?
Schuh: Erstens: Reduzieren der Abhängigkeit von einzelnen Kunden. Zweitens: Die eigene Kapazität unterhalb des Auftragsvolumens halten und den Rest an Dritte weitergeben. Drittens: Nutzen der Chancen durch die Globalisierung! Viertens: Wachstumsoffensive: Das Ziel könnte beispielsweise lauten, das Umsatzvolumen in den nächsten vier bis fünf Jahren um Faktor vier zu steigern. Vielleicht sind in Deutschland nur 40 oder 50 Prozent drin, den Rest des Wachstums holt man sich – in Eigenregie oder mit Partnern – im Ausland. Auch in China.
Ist diese Forderung speziell für kleine Unternehmen nicht zu hoch gegriffen?
Schuh: Ich halte unseren Werkzeug- und Formenbau für zu kleinteilig. Damit meine ich nicht, dass die Kleinen verkaufen oder aufgeben sollten. Aber durch Zusammenschlüsse in virtuellen Fabriken oder ähnlichen Kooperationsformen könnten mehrere Betriebe am Markt wie ein großer Anbieter auftreten und ihre Marktposition stärken. Solche Kooperationen erleichtern es kleinen Betrieben auch, im Ausland Fuß zu fassen.
Patente lassen sich gewinnbringend vermarkten

Wiro – klein und weltweit erfolgreich

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Dass auch kleine Unternehmen international erfolgreich sein können, zeigt die Wiro GmbH & Co. KG in Olpe. Der Familienbetrieb mit 35 Mitarbeitern wurde im Rahmen des Wettbewerbs Excellence in Production zum „Werkzeugbau des Jahres 2006“ gekürt. Die Wahl begründete die Jury mit dem überdurchschnittlichen Dienstleistungsangebot, der engen Einbindung in die Produktentwicklung der Kunden sowie der hohen Qualität der Werkzeuge. Außerdem nutze Wiro mit einem Exportanteil von bis zu 90 % globale Absatzmärkte, sei auch in Niedriglohnländern von Afrika bis Asien tätig und insoweit ein Vorzeigeunternehmen, so die Veranstalter des Wettbewerbs vom Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen und des Fraunhofer IPT, Aachen. Wiro entwickelt und fertigt Werkzeuge, mit denen Schraubkappen, Verschlüsse und Verpackungsteile hergestellt werden. „Als das Geschäft in angestammten Branchen immer schwieriger wurde, haben wir uns erfolgreich spezialisiert“, sagt Geschäftsführer Reiner Rohlje. Den hohen Exportanteil begründet er damit, dass in Deutschland – ganz anders als im Ausland – nur noch bei wenigen Unternehmen Menschlichkeit, Fairness und eine gute Zahlungsmoral zu finden seien. „Zudem ist die Geschäftsabwicklung im Export oft einfacher als erwartet.“
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